Humor, Anarchie, uneitle Kunst, das Unperfekte

„Es ist höchste Zeit, dass sich die Kunst dem Unsinn widmet” — sagt Schwitters und Martin Stiefel schließt sich in seinen Arbeiten diesem Postulat an. Das ist für mich als Betrachter unglaublich befreiend: Der Humor und die Anarchie, den diese Objekte ausstrahlen, macht den Zugang und das Hineinhören mit allen Sinnen in diese Kunst unglaublich direkt sinnlich erfahrbar. Es ist in gewisser Art und Weise uneitle Kunst, sie will nicht einschüchtern, versteckt sich nicht hinter dicken Konzeptschichten und glattem Perfektionismus. Fern vom Hochglanz unserer technisierten Welt erzeugen die Objekte von Martin Stiefel in ihrer klappemd spielerischen Anarchie eine neue Schönheit. Für mich ist es eine Poesie der Freiheit wie auch der Endlichkeit. Schon fast vergessen, aussortiert und weggeworfen gibt ihnen Martin Stiefel ein zweites Leben, das ihnen völlig neue Fähigkeiten anerkennt und abverlangt. Auch in diesem zweiten Dasein schwingt das morbide Moment von Ende und Stillstand der Maschinen immer mit. Sie keuchen und ächzen, wenn Martin Stiefel ihnen an Leistung alles abverlangt, was ihre Motoren noch hergeben können. (Elke Richly, Rede Schorndorf, 2010)

Stiefel stürzt sich ungebremst in die Konstruktion seiner chaotisch-kinetischen Kunst. Martin Stiefel ist ein Handwerker, keiner aus dem Baumarkt, sondern einer, der das Labile, das Billige, das Zerbrechliche versucht herzustellen – natürlich im Sinne der Kunst. Der hehre Kunstbegriff ist ihm dabei einerlei. Lieber erstellt er, vom Spiel- und Basteltrieb angetrieben, Kunstwerke, die absichtsvoll banal daherkommen. Und so bemalen Pinsel, automatisiert und doch chaotisch, Leinwände.(Statt-Fernsehen Landshut, 2010)

Maschinen-Zauber, Fantasie, das Absurde, Verfremdung

Waschen, schleudern, trocknen? Bei Martin Stiefel können Waschmaschinen viel mehr. Tanzen, malen und hüpfen etwas. Schneisen durch Gläserwälder klirren. Sich auf Wanderschaft machen. Dazu braucht man nur Fantasie. Und die Lust am Absurden. Die Freude an der Überraschung. Das alles hat der Münchner Maschinenstürmer im Überfluss. Und er nimmt die Zuschauer augenzwinkernd mit auf die Reise aus dem Alltag. (Susanne Stiefel, Journalistin, 2008)

Die Waschmaschinen mit dem Mundschlund bekommen unter des Meisters Hand menschliche Anmutung. Zudem was unverschämt Leichtfüßiges. Sie kippen leicht nach vorne, nicken im Vorwärtshüpfen, drehen sich selbstvergessen im Raum, folgen ihrer eigenen Choreografie. (Jörg Nölle, Stuttgarter Nachrichten)

 

Theater

Martin Stiefels Maschinen sprechen ganz unverstellt, fast kindlich und augenzwinkernd frech zum Betrachter… Für mich werden sie zu Schauspielern in je einem Monolog, den der Künstler jeder Maschine auf den Leib geschneidert hat… Das Theater ist tatsächlich auch die künstlerische Wurzel, die Stiefel in den 70er Jahren über viele Jahre intensiv genährt und geformt hat. (Elke Richly, Rede Schorndorf, 2010)

Martin Stiefel haucht mithilfe der kleinen Haushaltsmaschinen den an sich unbewegten Dingen Eigenleben ein. So spielen sie für uns Theater. Und plötzlich erinnern wir uns, dass wir nicht immer davon ausgingen, dass ein Paar Schuhe nicht auch von alleine tanzen kann. In kindlichen Phantasien können sie das, in Märchen und in magisch empfindenden Kulturen. (Marietta Schürholz, Penzberg, 2001)

Der Zufall

ist mir ein willkommener Gehilfe. Es freut mich, wenn er auftaucht, weil es jedes Mal eine Überraschung ist. Oft fügt er sich ins Bild als wäre es gewollt wie bei der Action-painting washing machine, die irgendwie konstruktionsbedingt rückwärts im Kreis hüpft. Bei den Mixern zum Beispiel fordere ich den Zufall heraus, in dem ich sie über­fordere. Dadurch sind die Bewegungen ungleichmäßig: die Mixer stocken, und dann geht’s ruckartig weiter. Das interessiert mich. Da ich mir beim Aufbau einer Ausstellung viel Zeit nehme, können manche Dinge erst vor Ort direkt entstehen, ganz „zufällig“ – ich nehme auf, was mir begegnet, was der Zufall mir zuspielt. (Kunstgespräch, Katalog Landshut, 2010)

Von der Poesie des Unsinns

Martin, seit den 90er Jahren arbeitest du fast ausschließlich mit kinetischen Objekten. Gebrauchte Haushaltsgegenstände, die, wie du sagst, zu einem zweiten Leben erweckt werden und ratternd und klappernd mit dem Betrachter in Kommunikation treten. Deine künstlerische Arbeit beginnt in den 70er Jahren an einem ganz anderen Punkt – beim Theater. Was hat Dich zu deiner heutigen Arbeit mit bewegten Objekten geführt?
Ich hatte mich zur Kommunezeit – ich war von 1977 bis 1990 in der von Otto Mühl gegründeten AA-Kommune – schnell für’s Theater entschieden. Durch die „Selbstdarstellung“ (eine Art im Kreis der Kommune allabendlich praktizierte spontane Darstellung innerer Gefühle) war klar: das Theater als Medium liegt nahe. Die Mittel, die man dort im spontanen Ausdruck benutzt und lernt, sind dem Theater verwandt. Das habe ich 6 Jahre lang in Form des Mitspieltheaters in Hamburg, wo ich zu dieser Zeit gewohnt habe, gemacht. Unser Schwerpunkt lag auf Kindertheater und die Stücke dafür haben wir selbst geschrieben. Das waren einfache Zirkusstücke, bei denen die Kinder als Akteure immer wieder kurz eingebunden waren. Später dann haben wir verstärkt mit einer Regisseurin gearbeitet, die auf Bühnenbild und feste Texte größeren Wert gelegt hat, also durchstrukturierte Handlungsstränge, die kleine Fenster von Interaktion ermöglichten. Das hat mir noch besser gefallen. Wenn man mit zu wenig Struktur an einem Theaterstück arbeitet, kann die ganze Sache schnell verflachen. 1983 haben wir diese Theaterprojekte aufgegeben. Damit war einfach nicht genug Geld zu verdienen. Und in der Kommune herrschte Geldknappheit, die ersten Kinder waren geboren. Otto Mühl übte Druck aus, das Theater aufzugeben, dem die meisten dann sukzessive nachgaben. Die, die weitermachen wollten, sind ausgezogen. Ich hatte das auch kurz überlegt, bin aber doch geblieben. …

Von der Poesie des Unsinns. – Ein Gespräch mit Elke Richly (Das komplette Interview als PDF)

 

Vom Kochtopfdeckelkreuz zum Rolling Stone und Sisyphos

Teil 1: Der Kochtopfdeckelzyklus

Ein Haufen Kochtopfdeckel auf dem Flohmarkt inspirierte mich 1997 anlässlich der Ausstellung Qureuz und Kwer in Fürstenfeldbruck, etwas anderes als Jesus auf ein Kreuz zu nageln. Mehr nicht.

Im Zuge einerseits autobiografischer Beschäftigung und andererseits Recyceln alter Arbeiten erregte dieses Kochtopfdeckelkreuz 20 Jahre später meine Neugier. Ich wollte die Kochtopfdeckel in Bewegung bringen. Der erste Schritt war also das Entkreuzigen. Ich lud Freund*innen ins Atelier ein. Nackt zog ich die Nägel aus dem Kreuz, wir aßen zusammen jeder einen Apfel, anschließend zersägte ich das dünne, unscheinbare Dachlattenkreuz. Die Deckel und die Kreuznägel legte ich in einer alten Zinkwanne meiner Kindheit ab, die Geräusche waren Teil der Aufführung.

Aus vielen Ideen, … kompletter Text als PDF